AHV Alter 66 für alle

In der Schweiz schieben wir seit Jahren ein extrem wichtiges Thema vor uns her: Die Revision der Sozialversicherungen.

Siehe hierzu auch Blog Post über mögliche Rettungsmassnahmen für die 2. Säule (BVG).

Wir wählen unser Parlament und erwarten von den Gewählten, dass sie sich um die wichtigsten Probleme unseres Landes kümmern. Aber dies geschieht im Bereich der Sozialversicherungen nicht – beziehungsweise offensichtlich nicht in dem Sinne, dass mehrheitsfähige Lösungen entstehen. Ich habe den Eindruck, dass wichtige Reformen blockiert sind, weil kein Ansatz auf einen Schlag sämtliche Probleme lösen kann. Aber aufgrund von Partikularinteressen sowie durch die Konzentration auf die 5% Fälle verliert man a) die Sicht auf das Ganze und b) die Möglichkeit eines iterativen Vorgehens. Das Resultat ist enttäuschend. Und insbesondere im Falle der Sozialversicherungen auch gefährlich: Je länger wir damit zuwarten, die strukturellen Probleme zu lösen, desto weniger Spielraum werden wir schlussendlich haben.

Das heisst nicht, dass ich für einen Schnellschuss plädiere. Im Gegenteil!

Vor einer Weile habe ich die Idee “AHV Alter 66” aufgeschnappt (ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wo – und wer die Idee ursprünglich hatte, würde ihn / sie aber hier gerne referenzieren). Im Folgenden habe ich die Idee mit vielen Leuten (zum Teil kontrovers) diskutiert, mir viele Gedanken dazu gemacht und bin heute mehr denn je überzeugt davon.

Meiner Meinung nach wäre die Erhöhung des Rentenalters auf 66 Jahre für Männer und Frauen eine mehrheitsfähige Massnahme mit grosser Wirkung. Ein wünschenswerter Zusatz wäre, das Rentenalter regelmässig an die Realität anzupassen. Zum Beispiel anhand der realen Lebenserwartung der letzten Jahre (also aufgrund von Fakten, nicht einer Prognose).

Die Massnahme ist äusserst fair, einfach in der Umsetzung und effektiv für beide Säulen, AHV sowie BVG.

Interesse nach Altersgruppe

  • Jünger als 50: Wer in dieser Gruppe rechnet ernsthaft damit, dass das heutige AHV Alter 64/65 in 15 oder mehr Jahren noch besteht? Entsprechend ergeben sich für diese Gruppe langfristig keine negativen Auswirkungen. Im Gegenteil: Die heute leider existierende, massive Umverteilung in der 2. Säule kostet genau diese Bevölkerungsgruppe Milliarden. Entsprechend hoch muss das Interesse an einer schnellen und effektiven Lösung sein.
  • Zwischen 50 und Pensionierung: Eindeutig die kleinste der drei Gruppen. Und hier haben wir ganz klar negative Auswirkungen. Heute lässt sich dies Gruppe von den (heutigen und künftigen) Jungen ihre Altersrenten finanzieren. Das soll kein Vorwurf sein, es kann sich ja niemand freiwillig dagegen entscheiden. Es ist halt einfach eine Tatsache.
  • Rentner: Die Massnahme hat keine negativen Auswirkungen auf diese Gruppe. Im Gegenteil: Ohne wirkungsvolle Lösung steigt zwingend der Druck auf die Unantastbarkeit von bestehenden Renten (z.B. im BVG).

Interesse nach Geschlecht

  • Frauen: Auch die Männer müssen länger arbeiten, die Sanierung wird also nicht nur auf dem Buckel der Frauen ausgetragen.
  • Männer: Die Gleichberechtigung bezüglich AHV Alter wird zu einem verhältnismässig geringen Preis erreicht.

Was spricht gegen ein höheres Rentenalter?

In den vergangenen 70 Jahren seit der Einführung der AVH ist die durchschnittliche Lebenserwartung um 8 Jahre gestiegen (von rund 78 auf 86). Dies ist keine Prognose, sondern gemessene Realität. 10% länger leben tönt jetzt nicht extrem schlimm… Aber aus der Sicht einer Pensionskasse sieht das dramatischer aus: Vergleicht man die Dauer, während welcher eine Rente ausbezahlt werden muss von 1985 mit heute, dann steigt diese für Frauen von 20 auf 23.5 (17.5%) und für Männer sogar von 15 auf 19.5 (30%).

Gleich lang arbeiten und vom Angesparten bei gleichbleibender Qualität länger leben können? Die Mathematik eines Erstklässlers reicht zur Einsicht, dass dies unmöglich ist.

Ein häufiges Argument ist, dass ältere Menschen keine Arbeit mehr finden. Und es stimmt: Obwohl die Arbeitslosigkeit auch unter 55-65 Jährigen relativ tief ist, müssen ältere Menschen länger suchen, um eine neue Stelle zu finden.

Vergleiche hierzu den Blog Post über Rettungsmassnahmen für das BVG, welcher unter anderem eine Idee vorstellt, bei welcher die Beiträge des Arbeitnehmers im Alter anteilsmässig zunehmen.

Amdahl und Gustafson

Oftmals schleicht sich hier eine Fehlüberlegung ein: Die gesamte Menge an Arbeit ist nicht beschränkt, sondern es hat davon quasi unendlich viel. Der Unterschied ist relevant. Ingenieure kennen das Phänomen im Bereich der parallelen Verarbeitung von Aufgaben: Es gibt unterschiedliche Formeln um den Durchsatz zu messen, insbesondere Amdahl’s Gesetz und Gustafson’s Gesetz. Amdahl geht bei seiner Formel davon aus, dass eine gegebene Menge Arbeit erledigt werden muss. Gustafson davon, dass zur Verarbeitung von Arbeit eine gegebene Zeit zur Verfügung steht.

Aber was ist dann das Problem von älteren Menschen bei der Arbeitssuche? Die Antwort ist: Nicht das absolute Alter, sondern das relative Alter. Sprich: Es ist nicht relevant, dass jemand 62 Jahre alt ist, sondern dass er nur noch 3 Jahre arbeiten wird (und danach bereits wieder ein Nachfolger gesucht und ausgebildet werden muss). Wenn wir bis 70 arbeiten würden, dann würde ein 55 Jähriger viel schneller eine Stelle finden als heute. Das Problem würde sich schlicht und ergreifend auf die Gruppe der 60-70 Jährigen verschieben.

Zusätzlich mögen die im Alter steigenden BVG Kosten ein Faktor sein, aber auch das Problem kann man lösen.

Einschränkung

Meine Argumentation gilt eindeutig nicht für Menschen, welche ihr Leben lang unter schwierigen Bedingungen körperlich harte Arbeiten ausführen. Für jene ist es sehr wohl relevant, ob sie mit 60, 63 oder 66 pensioniert werden. Ich bin ganz klar der Meinung, dass wir für diese Gruppe eine andere Lösung finden müssen. Also nicht alle Menschen über den selben Kamm scheren können. Aber ich denke, wir sollten die generelle Regel auf die restlichen 90% ausrichten und für Minderheiten eine Ausnahme definieren. Nicht umgekehrt.

Fazit

  • Das AHV Alter 66 für Männer und Frauen ist eine äusserst einfach umzusetzende Massnahme.
  • Sie ist mehrheitsfähig.
  • Auch sie löst nicht alle Probleme, aber sie zumindest ein erster, effektiver Schritt.

Überzeugende Argumente dagegen kenne ich bis heute keine.