Unser Schweizerisches Sozialsystem benötigt dringend eine Revision. Ich habe darüber bereits im Blog über das AHV Alter 66 ein paar Gedanken niedergeschrieben. In diesem Artikel fokussiere ich auf die 2. Säule, welche eine Revision ebenso nötig hat.
Ich werde so vorgehen, dass ich einige Massnahmen hier diskutiere, auf welche ich über die Zeit stosse. Es entsteht hier also ein Sammelsurium an Ideen.
Bereits hier eine kleine Warnung: Ich habe eine eher liberale Sichtweise. Auch wenn ich versuche, ausgewogen zu sein: Diese Grundhaltung wird am einen oder anderen Ort sicherlich durchscheinen.
Ich bin überzeugt davon, dass wir historisch gesehen “den Linken” unser komplettes Sozialsystem verdanken mit der AHV als erster Säule und dem BVG als sinnvolle Ergänzung dazu. Davon will heute wohl niemand mehr ernsthaft weg. Momentan scheint es mir aber eher so zu sein, dass leider viele linke Politiker (nicht nur, aber eben gerade auch) durch ihre extreme, kompromisslose Haltung dieses Sozialsystem gefährden. Die Solidarität in der 2. Säule wird heute arg überstrapaziert.
Man kann nicht sozial sein, wenn man die Jungen bezahlen lässt für die unantastbaren Renten, nur weil man es sich mit den älteren Wählern nicht verscherzen möchte. Dagegen ist die rechte Politik zwar eben auch nicht lösungsorientierter, aber zumindest in sich konsequenter und ehrlicher.
Und das Ausmass der Umverteilung ist gigantisch. Gemäss einem Artikel des Vermögenszentrums betrug sie in den letzten 3 Jahren deutlich mehr als 20 Milliarden Schweizerfranken. 20 Milliarden, welche die aktive Generation an die Rentner abtritt.
Mit welchen Argumenten auch immer dringend notwendige Lösungen verhindert werden, spielt keine Rolle. Ich schätze jeden Politiker, der für die Sanierung der Sozialwerke kompromissbereit ist und auch mal über seinen Schatten springen kann.
Haben wir wirklich ein Problem mit der 2. Säule?
Die Anfangszeit des BVG war eine komplett andere Zeit: Wirtschaftswunder, wirtschaftliches Wachstum, geringe Rentner Anteile, Zinsen von rund 10%, etc. Nur Pessimisten gingen davon aus, das Wachstum könnte begrenzt sein. Niemand hielt es für möglich, dass sich die Zinsen auch nur in die Nähe von 0% bewegen und die heutige Altersstruktur konnte man nicht vorhersehen.
Die 2. Säule wie wir sie heute noch kennen ist auf dieses Umfeld abgestimmt. Zu verleugnen, dass sie an die neuen Verhältnisse angepasst werden muss, ist schlicht und ergreifend dumm.
Übersicht der diskutierten Ansätze
- Mehr Beitragsjahre
- Höhere Sparbeiträge
- Sondereinlagen der Arbeitgeber
- Reduzierter Koordinationsabzug
- Reduzierter Umwandlungssatz
- Kompensation durch Lohnabzug
- Renten-Splitting für Ehepaare
Quellen
- Swisscanto: Schweizer Pensionskassenstudie 2019
- Pete T. Pan: Blog über das AHV Alter 66
- Vorschlag der Sozialpartner, Anfang Juli 2019, Bericht der NZZ
- Das wahre Ausmass der Umverteilung, April 2020, Vermögenszentrum
1. Ansatz: Mehr Beitragsjahre
Man erreicht mehr Beitragsjahre auf zwei Arten: Früher einzahlen oder länger einzahlen. Oder beides.
Früher einzahlen
Man wird AHV pflichtig mit 18, aber BVG pflichtig erst mit 25.
Ein logischer Ansatz für mehr Beitragsjahre ist also, das Eintrittsalter fürs BVG zu senken. Ob man diese Grenze auf 20 reduziert, oder auch gleich auf 18 ist dabei eher sekundär.
Ein oft gehörtes Argument dagegen ist, dass junge Leute nicht verstehen, weshalb sie bereits mit 20 in die Zeit nach ihrer Pensionierung investieren sollen. Weshalb dieses Argument dann nicht auch für die AHV gelten soll, ist mir persönlich nicht ganz klar. Meine Meinung hierzu ist klar: Früher einzahlen ist eine sinnvolle und effektive Massnahme zur Sicherung der BVG Renten.
Länger einzahlen
Die Erhöhung des AHV Alters ist meines Erachtens ein unausweichlicher Schritt, welcher mehrheitsfähig ist. Darüber habe ich mich im Blog Post AHV Alter 66 bereits detailliert ausgelassen.
Blick ins Ausland: Dänemark koppelt das Rentenalter an die Lebenserwartung. Ein Modell, welches ganz sicher auch in der Schweiz langfristig sinnvoll wäre.
2. Ansatz: Höhere Sparbeiträge
Höhere Sparbeiträge sind eine Sache, welche mit obigem Ansatz automatisch erfolgt. Aber eine andere Abstufung der Sparbeiträge, das ist eine ganz andere Geschichte. Ich bin ganz klar der Meinung, dass dieser Ansatz mehrere Probleme löst.
Betrachten wir zuerst folgende Grafik, welche die BVG Sparbeiträge (Obligatorium) aufgeteilt nach Anteil Arbeitgeber und Arbeitnehmer darstellt. Der Arbeitgeber muss mindestens für die Hälfte der Sparbeiträge aufkommen. Ausserdem steigen die Beiträge (in Prozent des Salärs) mit steigendem Alter an.
In Summe ergeben sich zwischen 25 und 65 auf diese Weise knapp über 500 “Lohnprozente”, welche als Sparbeiträge entrichtet werden. Typischerweise steigt das Salär mit dem Alter, deshalb werden ältere Arbeitnehmer für den Arbeitgeber tendenziell immer teurer. Ein häufig genannter Nachteil auf dem Arbeitsmarkt.
Die folgende Grafik stellt einen Vorschlag dar, bei welchem die Sparbeiträge a) bereits ab 20 Jahren entrichtet werden, b) in Summe konstant bleiben über das gesamte Arbeitsleben und c) der Anteil des Arbeitnehmers mit zunehmendem Alter ansteigt.
Im gewählten Beispiel sind die maximalen Abzüge deutlich tiefer, als im aktuell gültigen Modell. Trotzdem kommen auf diese Weise knapp 50 “Lohnprozente” mehr auf das Konto des Arbeitnehmers. Es wird also insgesamt mehr gespart.
Das ist noch nicht alles: Durch den mit dem Alter steigenden Anteil des Arbeitnehmers werden ältere Mitarbeiter für den Arbeitgeber tendenziell günstiger (verglichen mit dem aktuellen Modell). Und die jüngeren Arbeitnehmer profitieren davon, dass sie dann mehr Geld auf dem Salärkonto haben, wenn sie es am meisten brauchen können.
3. Ansatz: Sondereinlagen der Arbeitgeber
Dieser Ansatz kann funktionieren. Insbesondere bei denjenigen Pensionskassen, welche sehr stark durch den Arbeitgeber geformt werden. Also in erster Linie die betriebseigenen Kassen.
Es braucht aber schon einen Arbeitgeber, der sehr stark dafür einsteht, dass es seinen Mitarbeitern auch nach der Pensionierung gut geht. Das kann man meines Erachtens nicht von jedem Arbeitgeber erwarten.
Sondereinlagen durch den Arbeitgeber sind der falsche Weg. Sie wirken nur kurzfristig (nämlich einmalig) und lenken höchstens von den strukturellen Problemen ab, welche zwingend zu lösen sind. Klarer formuliert: Der Vorschlag kann nur von Politikern kommen, die sich bei ihren Wählern nicht unbeliebt machen wollen, und lieber andere vorschieben.
Der Arbeitgeber soll sich darum kümmern, dass seine Mitarbeiter einen sicheren Arbeitsplatz haben und während dem Arbeitsleben gut versorgt sind. Ihm Sondereinlagen für die 2. Säule abzuverlangen geht in meinen Augen zu weit. Zumindest solange es noch einige Massnahmen gibt, welche strukturelle Probleme langfristig lösen. Davon beschreibe ich ja genügend in diesem Blog Post.
Ausserdem glaube ich an den Skaleneffekt. Das heisst, dass ich davon überzeugt bin, dass die Grösse ein entscheidender Faktor ist. Grosse Einrichtungen können die administrativen Kosten aufteilen auf viel mehr Versicherte und können damit effizienter sein. Dadurch bleibt mehr Geld für die Versicherten übrig. Die ganz grossen Pensionskassen sind halt eben eher teilautonome Sammelstiftungen und nicht Betriebskassen.
4. Ansatz: Reduzierter Koordinationsabzug
Dieser Ansatz ist extrem sinnvoll. Er löst gleichzeitig mehrere Probleme und man fragt sich ganz ehrlich, weshalb wir nach wie vor einen fixen Koordinationsabzug haben, welcher für alle gleichermassen gilt.
Der Koordinationsabzug wurde eingeführt, damit keine Überschneidung zwischen der 1. Säule und der 2. Säule stattfindet. Sprich: Derjenige Anteil des Salärs, welchen nach Pensionierung die AHV (teilweise) abdecken soll, wird im BVG ignoriert, da er sonst quasi doppelt versichert wäre.
Heute wären einige wohl froh, wenn ein Teil ihres Salärs eher doppelt als gar nicht versichert wäre.
Vielleicht ist der Ansatz mit dem Koordinationsabzug per se nicht so schlecht. Allerdings denke ich, dass man ihn gleich ganz weglassen könnte. Der Effekt auf unsere Sparguthaben wäre in den meisten Fällen enorm. Aber wenn das zu weit geht, dann könnte man im Gegenzug ganz einfach das im sogenannten Obligatorium abgedeckte Salär entsprechend reduzieren. Das würde das heutige System doch ein wenig vereinfachen, ohne jegliche Auswirkungen.
Kommen wir aber zum eigentlich interessanten Punkt: Viele arbeiten nicht Vollzeit. Für alle diejenigen wäre es ein Segen, wenn der Koordinationsabzug tiefer wäre. Ein sehr naheliegender Mechanismus wäre zum Beispiel, den Koordinationsabzug an den Grad der Beschäftigung zu koppeln. Bei jemandem, der nur 50% arbeitet wäre dann der Koordinationsabzug auch nur halb so hoch, wie bei jemandem mit 100%. Durch diese einfache und logische Massnahme würden sehr viele Teilzeiter in den Genuss einer (erhöhten) 2. Säule kommen – und dadurch durch mehr Leistung nach der Pensionierung.
5. Ansatz: Reduzierter Umwandlungssatz
Entschuldigt bitte diesen Vergleich (deswegen bin ich noch lange kein Waffennarr oder Kriegsfanatiker): Wenn alle anderen Massnahmen zusammen genommen ein Kampfflugzeug sind, dann ist das hier die Atombombe.
Wir haben heute einen Umwandlungssatz von 6.8%. Das heisst: Jemand der heute pensioniert wird (und sich für eine Rente entscheidet), der erhält pro CHF 100’000 angespartes Alterskapital eine jährliche Rente von CHF 6’800. Die Pensionskasse muss nun aber nicht 6.8% Rendite erwirtschaften! Schliesslich darf sie das Alterskapital über die statistisch angenommene Lebenserwartung aufbrauchen (ebenfalls für die Finanzierung der Renten verwenden).
Streng mathematisch ergibt sich dadurch eine im statistischen Mittel zu erreichende Rendite von rund 4.5%.
Als 1985 das BVG eingeführt wurde, konnte die notwendige Rendite fast ausschliesslich mit risikolosen Anlagen (Bundesobligationen, sogenannten Eidgenossen) erzielt werden. Und genau das war der Sinn des BVG: Sicherheit.
Heute haben die Bundesobligationen eine negative Rendite. Das Zinsniveau ist in sich zusammengefallen und nicht im Entferntesten mehr vergleichbar mit 1985. Der Umwandlungssatz von 6.8% ist dementsprechend ein illusorischer Wert. Man ist sich heute einig, dass ein realistischer Umwandlungssatz bei ca. 5% liegt.
Politiker wollen dieses Problem offenbar nicht lösen. Sie lieber davon, dass die Pensionskassen einfach etwas effizienter arbeiten müssten. Was hat diese billige Augenwischerei für uns zur Folge?
- Unsere Renten sind nicht antastbar. Eine einmal gesprochene Rente darf nicht mehr reduziert werden.
- Wenn die Pensionskasse keine Rendite von 4.5% erwirtschaften kann, dann muss sie die Rente trotzdem bezahlen.
- Das Geld muss also anderswo eingespart werden. Die einzige Möglichkeit dafür sind die aktiven Beitragszahler, deren Guthaben weniger hoch verzinst werden kann.
Auf diese Weise wird jedes Jahr je nach Berechnung 5 Milliarden Schweizer Franken umgelagert von den aktiven Beitragszahlern (d.h. Arbeiter im Alter von 25 – 65 Jahren) zu den Rentnern. Falls diese Situation nicht verändert wird, dann hätte jemand, der heute ins BVG Alter kommt, bei seiner Pensionierung rund CHF 450’000 weniger Alterskapital.
Der Umwandlungssatz von 6.8% wird also auf Kosten der Jungen finanziert. Wie können unsere Politiker damit durchkommen? Wie kann jemand von sich behaupten, eine soziale Politik zu verfolgen, wenn er dies zulässt?
Blick ins Ausland: Schweden koppelt die Höhe der ausbezahlten Renten direkt an die demografische und wirtschaftliche Entwicklung.
6. Ansatz: Kompensation durch Lohnabzug
Die Idee ist folgende: Wenn man den Umwandlungssatz reduziert, dann sinken die Renten. Diese Einbusse soll kompensiert werden. Und zwar langfristig, das ist das Hauptproblem.
Von diesem Ansatz halte ich überhaupt nichts. Das strukturelle Problem wird nicht gelöst.
Diejenigen Härtefälle, welche direkt nach der Senkung des Umwandlungssatzes in Rente gehen, könnte man durch eine zeitlich (eng) limitierte Massnahme abfedern. Zum Beispiel den Umwandlungssatz über eine gewisse Zeitspanne reduzieren – und nicht auf einen Schlag.
Fassen wir zusammen: Wir haben ein strukturelles Problem im BVG. Bei Pensionierung ist immer weniger Geld vorhanden, welches eine Rente für immer längere Zeiträume garantieren muss. Dieses Problem kann man nur lösen, wenn man a) mehr Geld hat oder b) die Rente reduziert. Es geht schlicht und ergreifend nicht anders.
Der Vorschlag der Sozialpartner will (vor allem) die Rente reduzieren – und dies aber gleich wieder kompensieren. Wie soll das ein Problem lösen? Hier wird reine Augenwischerei betrieben.
Zusätzlich dazu, dass der Ansatz kein Problem löst, gibt es zwei Dinge zu bedenken:
- Lohnabzüge, welche in einen Sammeltopf bezahlt werden, sind vom System her mit der 1. Säule (AHV) kompatibel. Nicht aber mit der 2. Säule: Dort spart jeder auf sein eigenes Konto. Hier läuft also systematisch etwas falsch.
- Noch schlimmer: Die Leidtragenden sind einmal mehr die aktiven Beitragszahler. Je länger jemand noch bezahlt, desto schlechter kommt er weg. Also verlagert man einmal mehr das Problem von den Rentnern weg auf die Schultern der Jungen.
7. Ansatz: Renten-Splitting für Ehepaare
In der ganzen Debatte, wie unser Sozialsystem zu retten sei, kam im Januar 2020 ein neuer Vorschlag auf. Er wurde (soweit ich das zurückverfolgen konnte) von den PK Spezialisten Martin Wechsler und Fabian Thommen erstmals aufgebracht. Dies als Ergänzung zu den Vorschlägen a) des Gewerkschaftsbundes / Arbeitgeberverbandes sowie b) des ASIP.
Die beiden gehen davon aus, dass man den Umwandlungssatz von aktuell 6.8% (auf dem obligatorischen Guthaben) beibehalten könnte, wenn man in der beruflichen Vorsorge (analog zur AHV) ein Renten-Splitting für Ehepaare einführen würde.
Warum könnte das tatsächlich funktionieren?
Der grösste Teil des BVG Altersguthabens entfällt auf die Männer. Ein Splitting findet heute ausschliesslich bei einer Scheidung statt. Der neue Vorschlag lautet, dieses Splitting nun auch bei Pensionierung anzuwenden. Die Rente wird also (bei nicht gleichzeitiger Pensionierung der Ehepartner) in 2 Schritten fällig. In einem ersten Schritt (d.h. wenn nur einer der Ehepartner pensioniert wird) eine im Vergleich zu heute reduzierte Rente. Dadurch, so die Spezialisten, könnten ca. 0.8 Prozentpunkte eingespart werden (deshalb die Aussage, dass der Umwandlungssatz beibehalten werden könnte). Der Vorschlag stärkt prinzipiell eher die Stellung der Frauen.
Im Gegenzug würde die Hinterbliebenen Rente gestrichen. Diese wird heute statistisch gesehen während 6 Jahren für Witwen ausbezahlt und beträgt ca. 60% der (gemeinsamen) Altersrente. Und somit wird auch gleich klar, wer die Verlierer dieses Vorschlages sein würden. Die Rente des überlebenden Ehepartners wäre natürlich tiefer.
Durch diesen Vorschlag würde eine zusätzliche, heute vorhandene, Umverteilung wegfallen: Diese von den Ledigen zu den Verheirateten. Also meines Erachtens etwas, was durchaus begrüssenswert wäre.
Es gibt natürlich weitere Verlierer: Generell sinken durch diesen Vorschlag die Renten. Aber genau darum geht es ja, bei einer Rentenreform: Es müssen strukturelle Probleme gelöst werden.
Und auch Männer (die statistisch gesehen älter sind, als ihre Frauen) hätten zu Beginn der Pensionierung eine tiefere Rente. Solange, bis auch die Ehefrau pensioniert ist. Auch hier muss man sagen: Offensichtlich wäre dies kein Problem.